Ein Kapitel aus “Sophiechen und die Zuckerbäuchlinge”

Ein seltsames Ereignis

Die Küchentür steht offen, es ist wirklich schönes Wetter. Der Garten liegt im warmen Sonnenlicht, welches sich im Teich spiegelt. Frosch genießt diesen Tag auch! Sophiechen sieht ihn bei seinem Häuschen, wie er in der Hängematte, zwischen den Apfelbäumen, schaukelt; er hat seinen Strohhut auf und raucht Pfeife. Igor liegt in seiner Hängematte neben der von Frosch. Sie faulenzen, das ist ein Hobby der beiden. Seit Kurzem üben sie das „Nichtstun” und schauen zusammen den weißen Wolken nach, die hoch oben am Himmel vorbeitreiben. Sie sind sehr beschäftigt damit! Sophiechen hört die beiden lachen.
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Sophiechen sitzt still am Küchentisch mit einem Glas roter Himbeerlimonade ohne Strohhalm, spielt mit ihren Zöpfen und starrt zur Wand, vor der der Tisch steht. Was sind da doch viele Risse in der Wand, denkt sie, und Löcher, ja, die Wand bröckelt an manchen Stellen sogar ab, es ist ja auch ein sehr altes Haus, in dem sie wohnen…
He? Was ist das? Was kommt da aus dem Riss in der Wand direkt über dem Tisch? Etwas Kleines, das sich langsam bewegt. Sophiechen rührt sich nicht von der Stelle, guckt angestrengt, ist ein bisschen erschrocken. Es klettert ein kleines rothaariges Wesen auf den Tisch, danach noch eins und noch eins, es kommen immer mehr, selbstbewusst laufen sie hintereinander in Richtung Blumentopf. Diese Wesen sind so groß wie eine große Murmel, wirklich nicht größer. Es scheinen Mäuse zu sein – nein, doch nicht, sie sehen ganz anders aus.
Sie haben keinen Schwanz, sie sind auch nicht glatt, sondern flauschig, haarig, es sind so zu sagen kleine haarige Kugeln und… sie haben Turnschuhe an! Du meine Güte, Sophiechen traut ihren Augen nicht. Und dann summen sie ein Lied.
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Ein fröhliches Lied! „Pom, pom, pom – bom, bom, bom – dong, dong, dong” und dann wieder „pom, pom, pom” und immer so weiter. Es klingt friedlich, gemütlich, freundlich und trotzdem auch so eintönig, dass man fast einschlafen könnte, aber dazu hat Sophiechen jetzt überhaupt keine Zeit! Sie ist völlig erstaunt, versteht es nicht:
Was sind dies für kleine besondere Wesen? So etwas Komisches hat sie noch nie gesehen…
Was ihr auch auffällt: Viele dieser kleinen Wesen sind sehr dick, sie haben einen dicken Bauch und genau wie die Kängurus einen Beutel vor ihrem Bauch. Einige der Wesen sind so dünn wie eine Bohnenstange. Sophiechen traut sich nicht, die Augen zu reiben, denn von einer kleinen Bewegung könnten sie erschrecken! Sie hält den Atem an.
Diese komischen Wesen sind nicht alle rothaarig. Nein, einige haben orange Haare, andere wiederum gelbe. Rot, orange und gelb, mehr Farben sind nicht dabei. Obwohl, nein, es gibt auch noch einige weiße! In einem gleichmäßigen sehr langsamen Tempo schreiten die Wesen mit ihren Turnschuhen über den Tisch, nur einen Meter von Sophiechen entfernt. Sie summen ein Lied. Sophiechen starrt sie staunend an.
Ohhhh… Sophiechen merkt, wie ihr die Nase kribbelt, sie sitzt mucksmäuschenstill am Tisch, aber sie hat Angst, dass sie niesen muss. Oh je, Hilfe, denkt sie, nur das nicht, nicht jetzt niesen, wenn ich jetzt niese, erschrecken sie sich und verschwinden sofort wieder! Oh, lieber Himmel. Das Nasenkribbeln wird immer schlimmer…
„Hatschi!”, niest Sophiechen. Die Wesen bleiben sofort zwei Sekunden lang still stehen, vor Schreck erstarrt, sie drehen sich um, machen rechtsumkehrt und verschwinden, weniger langsam als sie gekommen sind, in dem Riss in der Wand. Aber nicht wirklich schnell. Nein, rennen kann man das nicht nennen, auch wenn sie erschrocken aussehen. Es geht nur ein kleines bisschen schneller. Der Tisch ist jetzt leer, kein eigenartiges Wesen mehr zu sehen.
Bedeppert schaut Sophiechen zum Riss in der Wand. Sie hält den Kopf so nahe wie möglich an die Wand. Sie ruft leise und freundlich: „Seid ihr noch da? Hallo!”
Es kommt keine Antwort. Schade. Wirklich schade. Sie sahen so lustig aus, diese komischen Wesen.
„Hallo, liebe kleine Wesen! Ich heiße Sophiechen. Kommt wieder zurück! Bitte! Ich tue euch wirklich nichts. Ich bin nur neugierig, wer ihr seid! Können wir vielleicht miteinander reden?”
Siehe da! Vorsichtig guckt ein Kopf aus dem Riss in der Wand, ein kleines Stückchen nur, ein Kopf mit orangenen Haaren. Und dahinter kommt noch einer mit roten Haaren, einer mit Brille. Aufmerksam sehen zwei Paar Augen Sophiechen an.
„Toll, dass ihr euch sehen lasst”, sagt Sophiechen. „Da bin ich froh. Wer seid ihr?”
„Wir sind die Zuckerbäuchlinge”, sagt der Kopf mit den orangenen Haaren.
„Die Zuckerbäuchlinge”, ruft Sophiechen, „das ist ein schöner Name! Warum heißt ihr so?”
Die beiden Zuckerbäuchlinge sind auf den Tisch geklettert, noch etwas unsicher, aber immerhin. Sie sind wieder da! Immer mehr klettern auf den Tisch, es ist kein Ende zu sehen. „Weil wir gerne Zucker essen”, sagt der rothaarige Zuckerbäuchling.
„Nur Zucker?”, fragt Sophiechen neugierig.
„Ja natürlich, aber so eintönig ist das gar nicht!”, sagt ein gelbhaariger Zuckerbäuchling, der etwas näher kommt. „Es gibt verschiedene Zuckersorten”, er schlenkert die Arme, „weißer Zucker, Rohrzucker, Puderzucker, Farinzucker, Kristallzucker, Zuckerrüben, aber auch ganz besondere Zuckersorten nur für Zuckerbäuchlinge wie Nusszucker, Pfefferzucker, Blaumondzucker, Rotmondzucker, Grünmondzucker, Olivenzucker und noch viel mehr, du verstehst schon, viel zu viele Sorten, um alle zu nennen. Ich kann mir nicht alle merken. Aber das muss ich auch nicht! Hahaha!”
Sophiechen guckt erstaunt.
„Und wie viele seid ihr hier?”, fragt Sophiechen.
„Unzählbar viele”, antwortet einer.
„Unzählbar?” Sophiechen kann es sich fast nicht vorstellen.
„Ja, wir sind viel zu viele Zuckerbäuchlinge, um alle zu zählen”, sagt ein anderer. „Deshalb zählen wir einfach nicht. Das ist doch kein Problem! Menschen wollen immer alles zählen. Zuckerbäuchlinge nicht. Außerdem sind wir viel zu faul zum Zählen! Wer zählt denn schon? Stell dir vor, Zuckerbäuchlinge zählen! So ein Quatsch!” Einige Zuckerbäuchlinge müssen lachen.
„Das macht nur müde!”, fügt er noch hinzu. „Hahaha!” Die Zuckerbäuchlinge müssen jetzt noch lauter lachen, es ist ein schrilles Girren, einige schütten sich vor Lachen aus. Zuckerbäuchlinge, die sich den Bauch vor Lachen halten, das sieht wirklich komisch aus, einige fallen um vor Lachen und rollen über den Tisch, mit ihren Turnschuhen in der Luft. Darüber muss Sophiechen auch lachen, es ist auf einmal sehr gemütlich in der Küche.
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„Pass auf, dass du dich nicht totlachst!”, ruft einer noch und dann wird es immer lustiger. Die Zuckerbäuchlinge können nicht mehr aufhören zu lachen! Bei vielen kullern die Tränen über die Wangen. Es ist jetzt ein Gewimmel von Zuckerbäuchlingen auf dem Küchentisch, die sich alle vor Lachen biegen.
„Wir lachen oft, wir machen gern Witze”, sagt ein Gelbhaariger, als sie aufgehört haben zu lachen. „Und wir sind zum Glück sehr, sehr faul. Zum Glück sind wir Faultiere, glückliche Faultiere. Wir reißen uns kein Bein aus.” Und da müssen die Zuckerbäuchlinge schon wieder lachen.
„Wir sind so froh, dass wir keine Menschen sind”, sagt ein Rothaariger zu Sophiechen. „Menschen haben es immer eilig, Eile und immer wieder Eile. Und trotzdem haben sie nie Zeit! Wie kommt das? Manche Menschen haben sogar keine Zeit zum Lachen! Hahaha! Es immer eilig haben und trotzdem keine Zeit haben, wie geht das denn?” Sie lachen schon wieder, die Zuckerbäuchlinge. „Nein, wir sind faul, sehr, sehr faul. Und das soll so bleiben. Hahaha. Wir müssen jetzt ins Bett!”
Die Zuckerbäuchlinge machen auf der Stelle kehrt und gehen zurück zur Wand.
„Halt, wartet mal kurz”, sagt Sophiechen erschreckt, „ich habe noch einige Fragen!”
„Das können wir auch morgen besprechen”, sagt der rothaarige Zuckerbäuchling mit Brille. „Schlafen ist nämlich wichtig. Na gut, noch drei Fragen, mehr aber nicht.” Die ganze Gruppe Zuckerbäuchlinge ist auf dem Tisch stehen geblieben. Sie sehen erwartungsvoll zum großen Gesicht von Sophiechen auf, die Augen aufgesperrt.
„Nun”, sagt Sophiechen, „ihr seid so viele und ich kann euch nicht aus- einanderhalten!”
„Das können wir auch nicht!”, sagt der Rothaarige. „Hahaha!” Sie müssen schon wieder lachen.
„Aber wie macht ihr das denn?”
„Gar nicht! Das ist überhaupt nicht notwendig. Davon wird man viel zu müde!” Alle kichern zustimmend.
„Aber wie soll ich dann wissen, wer wer ist?”, fragt Sophiechen noch.
„Willst du das wissen? Unsere Namen stehen auf unseren Bauchbeuteln”, sagt ein Zuckerbäuchling mit orangenen Haaren. „Wir können nämlich lesen! Wie ich heiße, willst du wissen? Warte mal kurz, ich sehe nach …” Er schaut auf seinen Bauch. „Ich heiße Schnuffelchen”, sagt er. „Das ist ein sehr schöner Name!”, fügt er erfreut hinzu.
„Wusstest du das nicht?”, fragt Sophiechen erstaunt.
„Nein, natürlich nicht”, sagt Schnuffelchen, „wir können uns doch nicht alles merken, dazu sind wir viel zu faul. Wir vergessen viel. Aber wir können lesen!” Schnuffelchen guckt stolz. Sophiechen findet das alles sehr komisch. Das ist heute ein toller Tag, denkt sie. Sie sind ganz anders als die Menschen, die Zuckerbäuchlinge; Menschen wollen sich alles merken, Zuckerbäuchlinge nicht, sind sie glücklicher?
„Geht ihr auch manchmal raus?”, fragt Sophiechen.
„Oh nein!”, rufen die Zuckerbäuchlinge im Chor. „Natürlich nicht!”
Sie gucken erschreckt, manche halten sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
„Habe ich euch einen Schrecken eingejagt?”, fragt Sophiechen jetzt. „Das wollte ich wirk- lich nicht!”
Der rothaarige Zuckerbäuchling mit Brille übernimmt jetzt das Wort.
„Hör zu”, sagt er. „Da draußen gibt es Raben. Schwarze Raben. Die sind hinterlistig und ganz gemein mit ihren scharfen Schnäbeln. Sie fressen Zuckerbäuchlinge. Schrecklich.” Jetzt ist es ganz still auf dem Tisch, obwohl viele Zuckerbäuchlinge zuhören. Einige schaudern, andere haben Tränen in den Augen.
„Oh, wie schlimm!”, sagt Sophiechen.
„Deshalb wohnen wir in den Wänden von alten Häusern, in Rissen und Löchern”, sagt ein gelber Zuckerbäuchling. „Dorthin können die Raben nicht kommen. Es ist jedoch ein bisschen eng zwischen diesen Wänden, wir würden auch gerne einmal in die Badewanne steigen oder uns einfacher umdrehen können, aber hier fühlen wir uns sicher!” Jetzt ist es noch stiller auf dem Tisch geworden.
„Manchmal gehen wir auch nach draußen, aber das geht nicht immer gut …” Der gelbe Zuckerbäuchling schluckt und muss weinen. „Mein Papa und meine Mama sind nicht mehr da, verschwunden. Ich weiß nicht, ob sie sich irgendwo sicher versteckt haben. Vielleicht haben die Raben sie gefangen. Vielleicht sind sie irgendwo im großen Wald. Aber ich traue mich nicht, sie zu suchen!” Zwei Zuckerbäuchlinge nehmen den gelben Zuckerbäuchling bei der Hand, umarmen und trösten ihn. Das ist aber lieb, denkt Sophiechen, aber das alles ist auch schrecklich. Dagegen müssen wir etwas tun. Ich werde morgen einmal mit Frosch darüber reden, denkt sie.
„Aber jetzt wird es Zeit fürs Bett”, sagt der Rothaarige mit Brille, „genug gefragt!” Sophiechen liest auf seinem Beutelchen, dass er Stups- nase heißt. Ja wirklich, er hat eine richtige Stupsnase! Der Name passt gut zu ihm! Mit der Brille auf seiner Stupsnase sieht das Gesicht des Zuckerbäuchlings ganz lustig aus!
„Kommt ihr morgen wieder zurück?”, fragt Sophiechen fast bettelnd, als die Zuckerbäuchlinge langsam in den Rissen der Wand verschwinden.
„Natürlich”, ruft der letzte Zuckerbäuchling, „aber alles zu seiner Zeit!” Und weg ist er.